Paris, 5. Februar 1925
Die Stimmung für Deutschland ist in Frankreich umgeschlagen.
Die treuesten Blätter des Cartel des Gauches zeigen das äußerste Mißtrauen gegen die fortdauernde deutsche Brüskierungspolitik, und die Meinungsäußerungen des politischen Gewerbes drücken in diesem Fall die tatsächliche Stimmung des Landes aus: die Franzosen sind enttäuscht.
In völliger Unkenntnis der deutschen politischen Psyche haben sie geglaubt, das Resultat der französischen Wahlen vom 11. Mai werde die öffentliche Meinung in Deutschland über eine gewisse Friedfertigkeit Frankreichs belehren. Der tiefe Pessimismus, dem wir hier immer Ausdruck gegeben haben, ist nur zu berechtigt gewesen: eine seit sechs Jahren verhetzte Nation, die heute noch nicht anerkennen will, dass sie den Krieg verloren hat, erwartet entweder nichts oder zuviel von dem Kabinett Herriot. Zuviel: mit verschränkten Armen und ohne die leiseste Gegenäußerung guten Willens harrten die deutschen Nationalisten auf die Räumung sämtlicher besetzter Gebiete und womöglich auf einen Schuldennachlaß, welchen Ausdruck schwächlich-demokratischer Politik man sich in Deutschland großmütig hätte gefallen lassen. Die meisten erwarteten allerdings gar nichts, weil sie über die wahre Zusammensetzung und die Innenpolitik dieses Kabinetts überhaupt nicht unterrichtet waren. Die Länder kennen einander nicht. „Zwischen zwei Kriegen“ weiterlesen